Über das Logo
Die Idee
Unsere diesjährige Sommer-ZaPF in Berlin steht im Zeichen der Sichtbarmachung.
Wie in vielen anderen Bereichen auch, gibt es in der Physik eine Vielzahl marginalisierter Personen, denen von der Fach-Community nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Um diese Aufmerksamkeitslücke ein wenig zu schließen, haben wir uns entschlossen, in der Physik wirkenden Frauen aus dem Raum Berlin/Potsdam eine besondere Bühne zu schenken. In unserem Logo sind daher die Portraits von vier Frauen abgebildet, deren Leistungen auch weit über Berlin hinaus bekannt geworden, jedoch seit jeher weniger prominent gewürdigt worden sind als die ihrer männlichen Kollegen. Unsere Idee endet hier jedoch nicht. Wenn ihr euch beim Merch für eine unserer Tassen entscheidet, ist diese neben unserem Logo auch mit einem weiteren zufälligen Portrait einer zeitgenössischen Physikerin aus dem Raum Berlin/Potsdam bedruckt.
Die Biographien
Clara Immerwahr (1870-1915)
Clara Immerwahr wurde als Tochter eines promovierten Chemikers in der Nähe von Breslau geboren und wuchs bis zum 20. Lebensjahr auf dem Gut ihrer Familie auf, bevor sie nach dem Tod ihrer Mutter mit dem Vater nach Breslau zog. Wie in vielen jüdischen Familien zu dieser Zeit üblich, förderten die Eltern ihre Bildung und sie besuchte schon vor ihrem Umzug nach Breslau die höhere Töchterschule. 1892 versuchte sie durch ein Lehrerinnenseminar in den Genuss weitergehender Bildung zu kommen, die für Frauen zu dieser Zeit nicht als üblich betrachtet wurde. Clara Immerwahr übte den Beruf als Lehrerin nie aus, ihr Interesse an Chemie und Naturwissenschaften allgemein wurde während des Seminars aber dank einer ihrer Lehrerinnen geweckt. Mit Hilfe des Einsatzes ihres Vaters wurde sie 4 Jahre später zunächst zur Prüfung der Mittleren Reife zugelassen, durfte anschließend erste Vorlesungen zur Experimentalphysik an der Universität Breslau besuchen und 1897 sogar ihr Abitur ablegen. In ihrem anschließenden Studium der Chemie (welches für Frauen zu dieser Zeit nur nach Ermessen der Universität als Gasthörerin möglich war) kam sie erstmals mit dem damals neuen Feld der physikalischen Chemie in Kontakt. Sie war auch die erste Frau überhaupt, die im Jahr 1899 das zu jener Zeit an Hochschulen neu eingeführte Verbandsexamen als Voraussetzung für eine Promotion am chemischen Laboratorium Breslau ablegte. In ihrem weiteren Studium hatte Clara das große Glück, in Richard Abegg einen Professor zu haben, der sie unabhängig von ihrem Status als Gasthörerin förderte, bevor es für Gasthörerinnen an preußischen Universitäten möglich wurde, die Promotion zu erreichen.
Während ihrer Zeit an der Universität Breslau entwickelte Clara Immerwahr zusammen mit Richard Abegg das Konzept der Elektroaffinität weiter und arbeitete an photochemischen Problemstellungen. Für ihre Promotion führte sie umfangreiche Untersuchungen zur Quantifizierbarkeit der Löslichkeit von Schwermetallen und deren Salze durch. Die unter ihrem alleinigen Namen publizierten Ergebnisse ihrer Untersuchungen erhielten ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit und auch die Disputation im Dezember 1900 fand mit ausführlicher Berichterstattung durch die Presse und vor zahlreichem Publikum, darunter viele Frauen, statt. Mit wieviel Widerstand Clara während ihres Studiums zu kämpfen hatte, lässt sich gut an dem Kommentar des Dekans der Fakultät zur mit "magna cum laude" bestandenen Promotion ablesen, der Clara im selben Atemzug als Vorbild für ihre Kommilitonen feierte und alle Anwesenden erinnerte, dass es Pflicht der Frauen sei, sich statt eines Studiums der Pflege der Familie zu widmen. Für den Zugang von Frauen zu höherer Bildung in Deutschland war Claras Promotion ein Meilenstein. Sie war die erste Frau die an der Universität Breslau promovierte und deutschlandweit die erste in Deutschland geborene Frau, die in Chemie promovierte. Trotz der ihr entgegengebrachten Widerstände blieb Clara nach ihrer Promotion als Assistentin von Abegg an der Universität, bis sie 1901 nach der Hochzeit mit Fritz Haber nach Karlsruhe zog.
Die Ehe mit Haber stellte sich als das Ende von Claras wissenschaftlicher Karriere heraus. Zunächst musste sie nach Habers Willen den Haushalt der gemeinsamen Wohnung führen, nach Geburt des gemeinsamen Sohnes war es die Arbeit als Mutter die ihre Rückkehr in die Wissenschaft verhinderte. Lediglich in der Korrektur von Manuskripten ihres Mannes und der Anfertigung von Zeichnungen für seine Arbeit konnte sie sich noch in die akademische Forschung einbringen. Als Ausgleich widmete sich Clara Immerwahr ab 1906 Vorträgen zu Naturwissenschaften im Haushalt, mit denen sie vielen Frauen ihrer Zeit Einblick in Gebiete gewähren konnte, die ihnen sonst nicht zugänglich gemacht wurden. Die Ehe zwischen Haber und Immerwahr zerbröckelte zusehends an dem Ungleichgewicht der Bedürfnisse, in dem Haber immer an erster Stelle vor seiner Frau stand. 1911 zog die Familie von Karlsruhe nach Berlin-Dahlem um, da Haber dort zum Direktor des neu gegründeten Kaiser-Wilhelm-Institut für Physikalische Chemie (heute Fritz-Haber-Institut) berufen wurde. Clara Immerwahr sprach sich öffentlich gegen die unter Fritz Haber stattfindende Forschung zur Synthese von kriegswichtigen Chemikalien und an Giftgasen zum Einsatz im ersten Weltkrieg aus. Es ist unklar, was genau nach dem ersten deutschen Gasangriff bei Ypern 1915 geschah, da viele zeitgenössische Dokumente – darunter der Nachlass von Immerwahr und Haber – in den Wirren des zweiten Weltkriegs verloren gingen. Klar ist jedoch, dass Clara nur 10 Tage später, am 2. Mai 1915, Suizid begang.
Die für Frauen zur damaligen Zeit ungewöhnliche akademische Leistung von Clara Immerwahr wurde lange Zeit weitestgehend ignoriert. Erst 1986 wurde ihr Wirken nach einer Publikation zum Jubiläum des Fritz-Haber-Instituts wiederentdeckt und gewürdigt, wobei ihrem Widerstand gegen den Gaskrieg stets mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird als ihrer akademischen Leistung. Heute wird Clara Immerwahrs Name durch den Clara-Immerwahr-Preis der Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg, den Clara Immerwahr Award führ junge Nachwuchsforscherinnen an der Technischen Universität Berlin und den Clara-Immerwahr-Preis für weibliche Studierende der Bio- und Chemieingenieurwissenschaften der Technischen Universität Kaiserslautern (seit 2023 Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau) geehrt.
Hertha Sponer (1895-1968)
Hertha Sponer wurde als ältestes von fünf Kindern in eine Kaufmannsfamilie in Schlesien geboren. Sie wuchs in einer Zeit auf, in der der Gedanke einer universitären Ausbildung von Frauen langsam Fahrt gewann. Nach dem Umzug ihrer Familie nach Zittau 1906 musste sie jedoch feststellen, dass das sächsische Schulsystem sie nicht ausreichend auf ein Studium vorbereiten würde. So entschied sie sich – nach mehreren anderen Versuchen, an die entsprechende Vorbildung zu kommen – zu einer Ausbildung als Erzieherin und Volksschullehrerin in Hannover und Heidelberg und arbeitete während des ersten Weltkriegs als Vertretungslehrerin an einer Grundschule. Diese Position gab sie 1916 auf, um in Breslau eine Privatschule zur Vorbereitung auf das Abitur zu besuchen, welche sie frühzeitig und gegen den Widerstand des Schulgründers mit bestandener Abiturprüfung verließ. Obwohl sie sich bereits 1917 auf ein Studium bewarb, hatte sie zunächst vor, dem Willen der Eltern entsprechend ihre Ausbildung als Lehrerin fortzusetzen. Ihre herausragende Leistung im Abitur überzeugte schlussendlich die Eltern, stattdessen dem Studium zuzustimmen.
Hertha begann ihr Studium der Naturwissenschaften in Tübingen, damals eine der ersten Universitäten Deutschlands, die die vollwertige Immatrikulation von Frauen zuließen. Allerdings gab es in Tübingen nur einen Kurs in Experimentalphysik, weshalb Sponer nach nur einem Jahr an die vergleichsweise konservative Universität Göttingen wechselte. Dort hörte sie Vorlesungen in experimenteller und theoretischer Physik von Woldemar Voigt, Robert Pohl und Peter Debye. Debye erkannte ihre Begabung und förderte sie, so dass sie 1920 nach nur 6 Semestern über die quantentheoretische Beschreibung von Spektralbanden zweiatomiger Gase promovierte. Nach der Promotion ging Hertha nach Berlin an das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physikalische Chemie, wo sie mit Nobelpreisträger James Franck zu Elektronenstoß forschte und unter Arthur Wehnelt als unbezahlte Assistentin Laborkurse gab. Während ihrer Zeit in Berlin lernte sie viele der dort wirkenden Größen der Physik wie Albert Einstein und Lise Meitner kennen, musste aber auch mit ansehen, wie sich der aufkommende Antisemitismus immer mehr Bahn brach.
Zusammen mit Franck wechselte Hertha Sponer 1921 zurück nach Göttingen, wo sich mit Pohl, Born und Franck ein Schwerpunktstandort der Physik herausbildete. Bereits nach kurzer Zeit erhielt Hertha hier eine Position als bezahlte Assistentin und konnte ihre Forschung zu Elektronenstößen und Spektren fortsetzen. 1925, nur 6 Jahre nachdem dies für Frauen erlaubt wurde, habilitierte Sponer als zweite Frau nach Emmy Noether in Göttingen und war zusammen mit Lise Meitner und Hedwig Kohn eine von nur 3 habilitierten Frauen in der Physik. Diese Habilitation konnte dem äußerst frauenfeindlichen Robert Pohl nur mit Hilfe von Franck und gegen die Bedingung abgerungen werden, dass Sponer die Universität Göttingen verlassen würde, sollte Franck einen andern Ruf annehmen. Im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen musste Hertha Sponer sich trotz Habilitation mit einer temporären Stelle und geringerem Gehalt zufriedengeben, die Verlängerung ihrer Stelle war stets vom Gutdünken des jeweiligen Institutsdirektors abhängig. Sie und ihre Kolleginnen wurden ständig mit den Vorurteilen konfrontiert, die Frauen in den Naturwissenschaften entgegengebracht wurden, dass die Wissenschaft für Frauen eine unnatürliche Beschäftigung sei und sie nicht des gleichen analytischen Denkens mächtig wären wie ihre männlichen Kollegen. Im Falle einer Hochzeit wurde zu der Zeit zudem von Frauen noch immer erwartet, dass sie ihre Professur aufgeben. Das folgende Jahr verbrachte sie mit Hilfe eines Rockefeller-Stipendiums in Berkeley. Bis 1934 arbeitete sie in Göttingen weiter auf dem Gebiet der Molekülphysik, zunächst als Assistentin, später als Oberassistentin, bevor sie schließlich 1932 zur außerordentlichen Professorin ernannt wurde. Bis nach dem zweiten Weltkrieg sollten Hertha Sponer und Lise Meitner die einzigen Frauen in der Physik mit diesem Titel bleiben, eine vollwertige Professur war für Frauen zu dieser Zeit nicht genehmigt. Als Franck als Folge des Nationalsozialismus 1933 seine Stelle aufgeben musste, waren Hertha Sponers Tage in Göttingen gezählt: von Robert Pohl wurde sie nicht geduldet und fortwährend drangsaliert, und die Nationalsozialisten wollten Frauen grundsätzlich aus der Berufstätigkeit drängen.
Sie verließ daher 1934 Deutschland, zunächst für eine Professur in Oslo und später in die USA, wo sie an der Duke University bis zu ihrer Emeritierung eine ordentliche Professur innehatte. Auch in den USA war eine Professur für eine Frau nicht unumstritten, ihre akademische Leistung wurde hier aber schlussendlich über Vorurteile gestellt.
Zu Hertha Sponers Lebenswerk gehören zahlreiche experimentelle Bestätigungen quantenmechanischer Vorhersagen und die Untersuchung elektronischer Eigenschaften und Schwingungseigenschaften vormals nicht untersuchter Moleküle. Sie publizierte das erste Buch mit umfassendem Überblick über molekulare Spektroskopie und scheute nicht davor zurück, interdisziplinäre Zusammenhänge zwischen Chemie und Quantenmechanik zu untersuchen. Als sie 1968 bei Hannover starb, konnte sie über 80 Publikationen vorweisen. Heute wird sie durch den Hertha-Sponer-Preis der Deutschen Physikalischen Gesellschaft geehrt, der an junge, wissenschaftlich erfolgreiche Physikerinnen vergeben wird. Zudem gibt es an der Duke University seit 2007 eine nach ihr benannte Vortragsreihe, die angesehenen Wissenschaftlerinnen vorbehalten ist.
Lise Meitner (1878-1968)
Lise Meitner wurde als drittes von acht Kindern in die Familie eines Rechtsanwaltes in Wien geboren. Wie vielen Mädchen ihrer Zeit war ihr der Besuch eines Gymnasiums verwehrt, obwohl sie die als angemessen betrachteten hauswirtschaftlichen Fächer langweilten und so legte sie auf Anraten ihrer Eltern zunächst einen Schulabschluss an einer Bürgerschule ab um sich für das Exam als Lehrerin zu qualifizieren. Für ihre Reifeprüfung 1901 am Akademischen Gymnasium Wien bereitete Lise sich schon während des Besuchs der Bürgerschule im Selbststudium vor, wurde später von ihren Eltern mit Privatunterricht weiter unterstützt. Ihr Privatlehrer Arthur Szarvassy weckte auch ihre Begeisterung für Mathematik und Physik und so begann Lise Meitner 1901 ihr Studium an der Universität Wien, wo sie auch Vorlesungen von Ludwig Boltzmann besuchte. Sie promovierte 1906, zeitgleich mit Selma Freud, und wurde damit zur zweiten weiblichen Absolventin der Fakultät für Physik in Wien. Nachdem ihre Bewerbung bei Marie Sklodowska Curie abgelehnt wird, bleibt Lise zunächst bis 1907 in Wien am II Physikalischen Institut, sie erhält jedoch keine bezahlte Stelle, obwohl sie erste Arbeiten veröffentlicht.
In Berlin besucht Lise Meitner eine Vorlesung von Max Planck, auch wenn dieser zunächst ablehnt und die Ambition einer Frau für die Wissenschaft nicht verstehen kann. Der gleichaltrige Otto Hahn, den sie hier kennenlernt, kämpft dafür, dass Lise zusammen mit ihm forschen kann. Ein Unterfangen, dass sich aufgrund des Verbots eines Studiums für Frauen in Preußen so kompliziert gestaltet, dass Lise nur als unbezahlter Gast der Friedrich-Wilhelms-Universität geduldet wird, das Gebäude nur durch den Hintereingang betreten darf und aus Vorlesungsräumen und Experimentierräumen der Studenten verbannt ist. Trotzdem entdeckt sie zusammen mit Hahn den radioaktiven Rückstoß und macht sich in der Physik einen Namen. Erst 1909 stimmt Preußen dem Frauenstudium zu und Meitner bekommt 1912 endlich eine bezahlte Stelle als Assistentin.
Mit der offiziellen Anerkennung Meitners kann sie zusammen mit Hahn ihre Forschung am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin-Dahlem fortsetzen. Als erste Frau wird sie 1913 zum Wissenschaftlichen Mitglied der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften ernannt, als eine von insgesamt nur drei Frauen während des Bestehens des Instituts. Anders als Clara Immerwahr teilt Lise Meitner zu Beginn des ersten Weltkriegs die Kriegsbegeisterung vieler Deutscher, zum Gasangriff bei Ypern gratuliert sie Hahn. Ab Juli 1915 lässt sie sich allerdings als Röntgenschwester in einem Lazarett an der Ostfront einsetzen. Nach ihrer Rückkehr setzt sie ihre Zusammenarbeit mit Otto Hahn fort und entdeckt 1918 mit ihm gemeinsam das Element Protactinium. Nach ihrer Ernennung zur Leiterin der radiophysikalischen Abteilung des Kaiser-Wilhelm-Instituts widmet sie sich auch unabhängig von Hahn eigener Forschung zu Kernprozessen, die sie international bekannt macht. Nachdem 1922 endlich auch Frauen für eine Hochschullaufbahn zugelassen werden, kann Lise ihre Habilitation in Physik einreichen und als erste Frau und allein aufgrund ihrer schon bestehenden internationalen Anerkennung abschließen. Ebenfalls als erste Frau Deutschlands in der Physik wird sie 1926 zur außerordentlichen Professorin für experimentelle Kernphysik an der Berliner Universität.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten muss Lise Meitner ihren Professorinnentitel als Kind jüdischer Eltern ablegen und verliert ihre Lehrbefugnis. Lediglich ihr Status als Österreicherin erlaubt ihr, noch bis 1938 als Ausländerin am Kaiser-Wilhelm-Institut weiterzuarbeiten. Mit dem "Anschluss" Österreichs wird sie jedoch auf einen Schlag zur "Reichsdeutschen" und von ihrem Kollegen Kurt Heß angezeigt. Otto Hahn hilft ihr bei der Flucht nach Holland und weiter nach Stockholm. Dort angekommen, findet sie am Nobel-Institut Anstellung, die aktive Forschung an der Radioaktivität muss sie wegen mangelnder Ausstattung der dortigen Labore jedoch aufgeben. Durch Korrespondenz mit Hahn und Straßmann trägt sie aber maßgeblich zu deren Entdeckung der Kernspaltung von Uran und Thorium bei. Zudem gelingt es Lise Meitner 1939 in Kooperation mit ihrem Neffen Otto Robert Frisch, die Kernspaltung theoretisch zu erklären. Während des zweiten Weltkriegs wird Lise mehrfach von den USA gebeten, an der dortigen Entwicklung der Atombombe mitzuarbeiten. Sie ist jedoch, anders als während des ersten Weltkriegs, inzwischen überzeugte Pazifistin und stellt die Entwicklung der Kernwaffen in Frage. Bei einer Vorlesungsreise in den USA nach Ende des Krieges 1946 wird sie als "jüdische Mutter der Atombombe bezeichnet", ein Titel der sie verstimmt, weil sie eben jene Forschung immer abgelehnt hatte. Für die Entdeckung der Kernspaltung wird ihr Beitrag nicht berücksichtigt und Otto Hahn erhält 1944 allein den Nobelpreis für Chemie. Lise selbst lehnte die Auseinandersetzungen in der Fachwelt, die darüber entstanden, ab. 1947 wird sie zur Leiterin der Kernphysik an der Königlich Technischen Hochschule in Stockholm und erhält in den folgenden Jahren auch zahlreiche Gastprofessuren an amerikanischen Universitäten. Lise erhält in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche Preise für ihre Arbeit, unter anderem 1955 den Otto-Hahn-Preis. Mit Otto Hahn bleibt sie lebenslang freundschaftlich verbunden und stirbt nur 3 Monate nach ihm in Bramley (Hampshire).
Für ihre herausragende Leistung in der Kernphysik wurde Lise Meitner 49 Mal für den Nobelpreis nominiert, unter anderem von Otto Hahn, er wurde ihr aber nie zuerkannt. Sie setzte sich für eine friedliche Nutzung der Kernspaltung ein, hielt sich jedoch mit Aussagen zu Atomwaffen stets zurück. Zu Beginn ihrer Karriere glaubte sie nicht, dass ernstzunehmende Vorurteile gegenüber Frauen in der Wissenschaft bestehen könnten, vor allem nicht im gebildeten Bereich. Mit diesen jedoch selbst regelmäßig konfrontiert, setzte sie sich für die Gleichberechtigung der Frauen in der Wissenschaft ein.
"Später habe ich begriffen [...] wieviel Dank speziell jede in einem geistigen Beruf tätige Frau den Frauen schuldig ist, die um die Geichberechtigung gekämpft haben." - Meitner 1953, "Die Frau in der Wissenschaft"
Marion Asche (1935-2013)
Marion Asche wurde als Kind eines Grafikers und einer Modegestalterin in Berlin geboren. Kurz nach der Einschulung musste sie durch die zunehmenden Bombenangriffe auf Berlin während des zweiten Weltkriegs mit ihrer Mutter nach Rügen umziehen. Nach Kriegsende 1945 zog die Familie zurück nach Berlin und 1949 wechselte Marion auf die Käthe-Kollwitz Oberschule an der sie ihr Abitur 1953 ablegte. Sie begann ihr Studium der Physik an der Humboldt-Universität zu Berlin und schloss mit Arbeiten am Institut für Festkörperforschung der Deutschen Akademie der Wissenschaften ihr Diplom 1959 mit Auszeichnung ab. Auf einer Stelle als wissenschaftliche Assistentin widmete sie sich der Erforschung von Halbleitermaterialien und baute enge Bindungen zur Ukrainischen Akademie der Wissenschaften auf. Für die Arbeit an ihrer Dissertation verbrachte sie einen halbjährigen Forschungsaufenthalt in Kiew und promovierte 1965 an der Humboldt-Universität zu Berlin mit Auszeichnung.
Durch die in ständiger Zusammenarbeit mit ukrainischen Kollegen fortgesetze Forschung an Halbleitern in starken elektrischen Feldern konnte sie 1970 ihre Habilitation an der Humboldt-Universität zu Berlin erlangen. Marions Untersuchungen führten zur Beobachtung einer Reihe vormals unbekannter Erscheinungen und Resultate ihrer Arbeit fanden Eingang in Lehrbücher. 1984 wurde sie mit ihrer Beobachtung einer spontanen Symmetriebrechung in der Verteilung von Eleketronen in Vieltal-Halbleitern bei tiefen Temperaturen Teil der ukrainischen Geschichte. Ihre Messungen bestätigten Vorhersagen ukrainischer Theoretiker und so wurde Marion Asche als erste deutsche Wissenschaftlerin Teil einer offiziell bestätigten ukrainischen physikalischen Entdeckung. Das damit verbundene Preisgeld spendete sie für Opfer der Tschernobyl-Katastrophe. In Folge ihrer herrausragenden Forschungsergebnisse wurde Marion Asche 1987 von der Akademie der Wissenschaften der DDR zur Professorin ernannt. Nach 1990 wirkte sie aktiv in der Gründung des Paul-Drude Instituts mit und war an diesem wissenschaftlich bis zu ihrem Ruhestand im Jahr 2000 tätig. Zwischen 1991 und 2000 war sie Mitglied des Vorstandes der DPG und von 1991-1998 Mitglied des Vorstandes der PGzB. In der PGzB war sie von 1994 bis 1996 Vorsitzende und damit in der 1845 gegründeten Organisation die erste und bis 2014 auch einzge Frau die diesen Posten innehatte. Als Autorin von über 80 Publikationen und 3 Patenten machte sie sich als Pionierin der Halbleiterphysik unter anderm mit ihren Untersuchungen von ballistischen Phononen, nichtlinearen optischen Prozessen, der Abkühlung von Elektron-Loch-Plasma in Halbleitern, heißen Elektroneneffekten und dem nichtlinearen Ladungstranport in Halbleitern verdient und brillierte durch ihre vielseitige Kompetenz. Sie leistete jedoch ebensoviel für die Zusammenführung der Wissenschaften in Ost- und Westdeutschland nach der Wende, war als Teilprojektleiterin am ersten ost-west-übergreifenden Sonderforschungsbereich der Physik beteiligt und gestaltete den Zusammenschluss der Ostberliner Physiker mit der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin aktiv mit.